Nach nicht enden wollenden Stunden an der polnisch-belarussischen Grenze waren wir endlich auf der Autobahn in Richtung Smolensk unterwegs, wo wir Aljona und Pascha treffen sollten, um gemeinsam die Reise fortzusetzen.
Für die ca. 400 km wollten wir uns nur eine Tankpause erlauben, denn wir hatten viel Zeit verloren und waren nach einer durchwachten Nacht an der Grenze müde und sehnten uns nach einer Dusche und einem Bett. Ich fühlte mich nach einem Kaffee wieder einigermaßen fit und setzte mich ans Steuer. Katja rollte sich auf dem Sitz zusammen und war Sekunden später eingeschlafen.
Bald hatten wir Minsk hinter uns gebracht und rollten auf der Autobahn durch das platte Land. Angesichts der zahlreichen Löcher und Rillen in der Straße war jedoch Vorsicht geboten.

Ich hatte mir vorgenommen, so weit wie möglich zu fahren, bevor ich Katja wecken würde. Ohne sie war es jedoch schwierig. Beide Navis kannten die Straße nicht, in der Aljona und Pascha auf uns warteten und ich hatte Probleme mit der russischen Beschilderung. Der Einsatz mobiler Daten verbot sich angesichts der horrenden Roamingkosten.
Kurz vor dem Abzweig, auf dem wir in Richtung Moskau wechseln mussten, wachte Katja auf und ich war froh, nun auch ein wenig Schlaf zu finden.
Wach wurde ich, als das Auto hielt und grelle Lichter das Innere ausleuchteten. Bewaffnete Männer in Uniformen forderten von Katja die Papiere und eine Erklärung, wieso ein deutsches Auto auf der belarussischen Autobahn unterwegs war.
Nachdem Katjas Antwort offensichtlich zur Zufriedenheit der Männer ausgefallen war, kam die Reihe an mich. Mit dem Blick des Zöllners auf meinen Reisepass wich die zuvor neutrale Ausstrahlung einer deutlichen Aggression. Der junge Mann bellte mich an, was ich jedoch nicht verstand. Dass es ernst war, konnte ich der lautstarken Debatte zwischen Katja und ihm entnehmen, die nun folgte. Katja zitterte in der Kälte am ganzen Körper. Ihre Hand, die das Handy hielt, bebte.
Weil ihre Stimme versagte, kamen die Worte nur brüchig aus ihrem Mund. Trotzdem wich sie dem Grenzer keine Sekunde aus dem Weg. Als der die Diskussion mit einer Handbewegung beenden wollte, funkelte sie ihn an und baute sich vor ihm auf.
Nach all den Schikanen, die wir zuvor an allen Grenzübergängen erlebt hatten, schien auch dies eine Kraftmeierei allmächtiger Behörden, denn was der Mann uns immer wieder entgegenbrüllte, erschien uns völlig absurd. Die Autobahn sei ausschließlich für Russen und Weißrussen passierbar. Alle anderen Nationalitäten müssten den einzigen noch vorhandenen internationalen Grenzübergang in Minsk nutzen. Minsk, wo wir gerade hergekommen waren? Nach vielen Stunden Fahrt sollten wir in der Kälte auf einer unpassierbaren Autobahn gestrandet sein? Katja pfiff auf das teure Roaming und telefonierte mit Pascha.
Plötzlich wirkte der Grenzer nicht mehr ganz so barsch. Er hatte wohl erkannt, dass wir mit der Situation überfordert waren. Auf einmal sprach er auch englisch, so dass ich verstehen konnte, was er Katja die ganze Zeit entgegengeschrien hatte. Ein ukrainischer Bombenangriff habe den internationalen Grenzübergang getroffen. Auf Katjas Entgegnung, sie habe das Internet zu diesem Thema durchsucht, weil das Reisebüro sie aufmerksam gemacht hatte, an der Grenze sei etwas passiert, gab er zu, dass der Zwischenfall bewusst verheimlicht worden war. Uns dämmerte, dass der Weg nach Kasachstan für mich tatsächlich über Moskau führen würde, und zwar mit dem Flugzeug. Als auch von Pascha gleichlautende Informationen eintrafen - baten wir ihn, nach Flugmöglichkeiten von Minsk nach Moskau zu suchen.
Innerlich stöhnten wir auf. Der Grenzer, der uns die ganze Zeit beobachtet hatte, wandelte sich zu einem hilfsbereiten Typen und drückte uns sein Handy in die Hand, um uns nach einem Flug suchen zu lassen. Um sechs Uhr mussten wir in Minsk sein, Katja würde allein nach Smolensk zurückfahren und als Russin die Grenze passieren dürfen - die mir verboten war. Welch ein Horrortrip! Ich beschloss zu fahren, damit Katja ein wenig Ruhe bekäme. Erst als ich auf der Autobahn auf die Gegenspur gewendet hatte, bekam ich meinen Reisepass zurück und freundliche Wünsche vom Grenzer auf den Weg.

Vor lauter Müdigkeit verpasste ich die Ausfahrt zum Flughafen und wieder funktionierte das verdammte Navi nicht. Unsere Nerven lagen blank. Genau in diesem Moment fiel Katja ein, dass die Flugreise für Nicht-Russen nur mit einem aktuellen Coronatest erlaubt würde. Wieder wurde Pascha aus dem Schlaf geklingelt. Er fand schnell heraus, dass es auf dem Flughafen Minsk eine Testmöglichkeit gab.
Mittlerweile hatten wir die Zufahrt zum Flughafen gefunden und machten uns auf die Suche nach dem Ticketschalter. Ohne Katjas Hilfe wäre ich dort aufgeschmissen, denn bedingt durch das Embargo wurde meine Kreditkarte nicht akzeptiert. Belarussisches Geld hatte ich nicht und eine Tauschmöglichkeit war nicht vorhanden.
Nachdem Katja das Ticket gekauft hatte, ging es zum Coronatest. Katja wollte das Ergebnis abwarten, doch ich schickte sie auf den Weg nach Saratow zurück. Ich war sicher, dass der Test negativ ausfallen würde und wollte über alles andere nicht mehr nachdenken. Mit negativem Test konnte ich gegen 11 Uhr das Flugzeug nach Moskau besteigen. In Scheremetjewo kam ich eine Stunde später mit großer Erleichterung an. Ich war nun drei Tage fast ohne Schlaf unterwegs, aber Müdigkeit fühlte ich nicht.
Jetzt nur noch die Passkontrolle und ich würde im Flughafen auf Katja, Aljona und Pascha warten. Leider erfüllte sich dieser Wunsch nicht. Alle Passagiere waren längst durch die Kontrolle gelaufen, nur ich musste warten. Niemand antwortete auf meine Fragen und mir wurde langsam unbehaglich. Ein Beamter kam endlich auf mich zu und bedeutete mir, mich in ein Büro zu begeben. Dort fragte er mich in schlechtem Englisch nach meinem Reiseziel und dem Grund meiner Reise. Vor allem interessierte ihn, wieso ich mit belarussischem Visum nach Moskau geflogen war. Ich erklärte ihm die Situation auf der Autobahn und er verschwand für 40 Minuten. Offensichtlich musste er einen Vorgesetzten konsultieren. Ein weiterer Beamter kam und stellte mir die gleichen Fragen. Wieder hieß es warten. Zwei Stunden später erhielt ich meinen Pass und durfte gehen. Den Rest des Tages verbrachte ich auf dem Flughafen und wartet auf Katjas Info. Der VW-Crafter steckten im Moskauer Feierabendverkehr fest, aber ich war einfach nur glücklich: sie würden kommen und mich abholen. 22 Uhr war es dann soweit. Sie begrüßten mich herzlich. Im Auto ließ ich mich auf das Bett fallen und in den Schlaf schaukeln.
Schön, wenn man Freunde hat.